Schaum

Ich verstecke mein Gesicht hinter einem Bart. Ich habe es nie hinbekommen, etwas zu tun oder jemand zu sein, so dass ich hätte attraktiv oder sogar schön erscheinen können.

An dieser Stelle wäre es an der Zeit, aufzuräumen oder sich umzubringen. Mir gelingt es, die Angelegenheit zu verschieben. Etwa, indem ich beobachte, wie ich altere. Im Spiegel erkenne ich das Trangesicht mir gegenüber nicht. Und bilde mir nun sogar ein, früher ansehnlich gewesen zu sein. Ich verbringe Tage damit, mir auszumalen, dass ein neues Bartdesign, helfen könnte, mir den alten Mann mit der groben Nase vom Halse zu schaffen. Vielleicht, weil ich ahne, dass das nicht geht, komme ich zu keinem Entschluss. Ich schäume meinen Hals ein und kratze die Konturen des eher spärlichen, grauen Vollbarts nach. Meine Rasierseife geht zur Neige. Ich werde dran denken müssen, mir neue zu besorgen. Das Leben geht ja weiter.

Gedächtnisspiele gehen

bei mir so: Mir fällt ein, dass ich noch die Wäsche aufhängen muss. Ich gehe also die Treppe hoch, dabei sagt mir mein Mundgefühl, dass Zähneputzen gut wäre. Viermeterachtzig weiter, betrete ich das Badezimmer, gehe auf dem Weg zum Waschbecken an der „fertig!“-blinkenden Waschmaschine vorbei und denke: Oh, die Wäsche muss ich noch aufhängen.

An guten Tagen, hole ich dann den Wäschekorb, wühle das warmfeuchte Zeug da rein und merke beim Treppenabstieg, hm, die Zähne solltest du dir unbedingt putzen. Dann bleibe ich mitten auf der Treppe stehen und weiß nicht weiter. Wenn ich Glück habe, fällt mir ein, was noch auf den Merkzettel muss, stelle den Wäschekorb ab und eile in die Küche.

Ich durfte

heute Vormittag einer wortreichen Handwerkerturnerei an unseren Zimmerdecken beiwohnen. Ich musste dabei lernen – nicht zuzuhören war keine Option – dass jahrmillionen alte Winzinsekten sich gern die „Meldekammer“ hochmoderner Rauchwarngeräte aussuchen, um darin nachts Inspektionsgänge zu unternehmen.

Zwar sei die Kammer, hierbei erhellte mir der kundige Mensch mit seiner Taschenlampe das Innere eines demontierten Geräts, zwar sei die Kammer von hoch feinmaschigem Gespinst umgeben, aber für bestimmte Insektenspaziergänger sei das keine Hürde.

Ich musste mit ihm in eines der Kinderzimmer stiefeln und die Tapete nach beweglichen Fusseln absuchen. Der Minol-Fachmann wurde gleich zweimal fündig, mit sichtlichem Triumph wies er auf die Tierchen und führte aus, dass eine Mücke viel zu sperrig sei, um das Meldekammergitter zu passieren, aber diese Plattlinge, für die sei das gar nichts, zack! sind sie drin.

Diese ungebremste Feinstmaschen-Passier-Kompetenz hat dann zur Folge, dass der nicht sonderlich differenzierungsfähige Melder schreit wie am Spieß. Weil er denkt, es ist Rauch. Dem Insekt ist das Getöse egal, hört ja nix. Und kauert sich bei plötzlichem, durch die aufgescheuchten Großhausbewohner verursachten Grelllicht, auch in besagter Kammer eher ängstlich zusammen, als dass es das schreiende Gerät wieder verlasse, so der Minol-Fachmann. Bei dieser Schilderung krampfte sich der voluminöse Leib des (jedenfalls seinem roten Haupt nach zu urteilen) für seinen Job brennenden Mannes ein paarmal zusammen, um die verschreckte Kauersituation des Insekts anschaulich zu machen.

Jedenfalls sind die fernauslesefähigen Lust-Rotunden nun wieder an ihren Plätzen und gegenüber nächtlichen Kleinstwanderern so blind als wie zuvor. Irgendwann um drei in der Früh hochgescheucht zu werden, gehört halt zum Kleingedruckten unseres bequemen und rundum gesicherten Lebens.

Auf einer

Ü-40 Kindergartenparty gewesen. Hinter mir, in der Bierschlange, telefonierte einer: „Hier ist alles voller Fotzen. Wer da alleine nach Hause geht, ist selber Schuld.“ Dann die 1000 Menschen gesehen als Figuren, die kopfüber in ihrem Film stecken. Ich hatte den, an Zimmern vorbeizugehen, in denen unbetretbare Filme laufen.

Weitergezogen. (Eine hatte sich nach mir umgedreht; rasch verklingende Geste –

Im Dunkeln vor allen Häusern viel Gelaufe und Gestehe. Hier und da, in die Stille des Wummerigen, moi eine Weile dazugestellt; die Flasche Bier fest in der Hand. Die Zeit als Wellen von Aufrichten und Zusammenknicken.

In der S-Bahn zurück allerlei raue Nachtgestalten, blindlings in den Wagon getupft; nackte Knöchel, Augen zugeklappt, alles wankt mit den Gleisunebenheiten.

Längs der Strecke Lichter wie eh und je, den Betrieb aufrecht zu erhalten.

In P. steht schon der Zug nach I. Heute klappt die Verbindung auf ganzer Linie.

Auf dem Bahnsteig ist eine große Einkaufstüte umgesunken, aus der ein Ärmel fällt).

Gerade traf

ich, mit A. an der Leine, einen Hasen. Der saß, ziemlich mittig, auf dem Weg, spitzte die Ohren und guckte konzentriert (oder verträumt) ins gegenüberliegende Feld. Schwierig zu sagen, was er im Gebüsch dort sah, aber es nahm ihn offenbar völlig in Beschlag. A. war inzwischen schon völlig hibbelig und am ganzen Körper hingerissen. Wir kamen immer näher, das Häschen rührte sich nicht, sondern starrte weiter. Als wir nur noch sieben oder acht Meter entfernt waren, sprach ich das Tier an: „Herr Hase, es ist Zeit.“ Der Hase wendete uns den Kopf zu und blieb ruhig sitzen. Er sah uns und sah uns nicht, so schien es. Als müsse er sich an etwas erinnern, das ihm (weit weit) entfallen war. Endlich durchzuckte es ihn doch.  Er nahm die Beine in die Hand – und verschwand.

Mittagspause und

ich liege  auf einer Parkbank. Gegen das Blau des Himmels wirkt das Laub der Bäume fast schwarz. Die Wolken, eine trockengefallene Sandbank mit tief ausgewaschenem Refief.

Ohnmacht ist, diesen Planeten nicht verlassen zu können. Geschweige denn das Sonnensystem, oder das Universum. Ich fotografiere den Himmel. Dann schieße ich ein paar Selfies.

Ich kann ja nicht mal aus meiner Haut.

The Making of „Fake News“

Im Bus schräg hinter mir sitzt eine Mutter mit ihrer Tochter. Das Mädchen ist vielleicht vier, fünf Jahre alt. Die Mutter redet mal betont freundlich mit ihrer Tochter („Was meinst du, mein Schatz?“) oder verfällt umstandslos in einen rüden Drohton („Wenn du nicht SOFORT den Scheißknopf lässt, mein Fräulein!“).

Irgendwann sagt die Mutter mit gesenkter Stimme: „Wenn dich jemand fragt, dann hast du bei Oma geschlafen.“ Das Kind schweigt. Mutter: „Ich rede mit dir, Fräulein. Hast du mich verstanden?“ Das Kind schweigt. Die Mutter: „Wo hast du geschlafen?“ Das Kind schweigt; nach eine Weile flüstert es: „Bei Oma.“ Mutter: „Gut.“